Freiwillige Feuerwehr Weißkeißel

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Vertrautheit - Kameradschaft


Es ist 3:15 Uhr, eine kalte verregnete Herbstnacht. Ich liege warm zugedeckt neben meiner Freundin, als wieder einmal dieses schrille Pfeifen meines Funkmeldeempfängers mich jäh aus dem Schlaf reißt. Im Halbschlaf höre ich den Disponenten von der Leitstelle, noch seine Durchsage machen: "Einsatz für den Löschzug. Schwerer Verkehrsunfall. Eingeklemmte Person!" Ich springe auf, ziehe mich an, genauso wie ich es schon so häufig in meinen fünf Jahren als freiwilliger Feuerwehrmann gemacht habe. Im zügigen Gang zur Haustür verabschiede ich mich wie immer bei solchen Einsätzen mit den Worten "Bis später Schatz, mach dir keine Sorgen". Ich komme aus der Haustür, der Regen prasselt auf die Straße und die Autos, die auf ihr geparkt sind. Ich steige ein, fahre in Richtung Feuerwehrhaus. Alles geschieht ganz selbstverständlich. Im Hinterkopf immer die Worte meines Gruppenführers Klaus: "Jungs, rast nicht auf dem Weg zum Gerätehaus, ihr könnt nur retten wenn ihr auch heil ankommt."

Die "Jungspunde" in unserer Wehr, wo er mich mit meinen 22 Jahren noch dazurechne, haben dies immer mit einem Grinsen belächelt. Ich gebe zu, Gedanken wie "Der Alte weiß doch gar nicht, was ich alles kann" oder "Ich bin jung und stark, mir passiert schon nichts" sind mir da auch schon gekommen. Trotzdem verbindet mich mittlerweile eine ganze Menge mit Hans. Vor vier Monaten bei einem Großbrand einer Lagerhalle war ich sechs Stunden mit Klaus im Einsatz. Da erst hab ich gesehen, was 35 Jahre Feuerwehrdienst ausmachen. Seit diesem Einsatz ist das Verhältnis zwischen uns ein ganz anderes.

Manchmal hab ich das Gefühl, er sieht mich als seinen Sohn. Und ich gebe zu, ich hab mich auch schon zwei- oder dreimal ertappt, wie ich zu ihm aufsah. Nicht, dass ich ihn als Held ansehe, aber es ist schon eine Art Bewunderung. Diese Ruhe und Gelassenheit, die er in hektischen Situationen und Einsätzen ausstrahlt, wirkt sehr beeindruckend auf mich. Es ist ein schönes Gefühl, von solch einem Kameraden lernen zu können. Man kann sagen, es hat sich eine richtige Freundschaft zwischen uns entwickelt, vielmehr als nur normale Kameradschaft.

Die zwei Kilometer zum Feuerwehrhaus hab ich geschafft. Die ersten Kameraden sind bereits da. Die Tore schon geöffnet. Im Spintraum treffe ich beim Umkleiden auf Klaus. Zusammen geht es aufs LF16. Wir sitzen uns hinten gegenüber. Das Martinshorn bahnt uns den Weg über die Bundesstraße. Der Regen prasselt immer noch aufs Wagendach. Das Blaulicht zuckt durch die Felder und Wälder, die an uns vorbei ziehen. Hans sieht die Anspannung, die in meinem Gesicht steht. An das Bild von Verkehrsunfällen kann ich mich auch nach fünf Jahren nicht gewöhnen. "Mach' dir keine Sorgen, das schaffen wir schon", vernehme ich zwischen dem Lärm des Motors und des Martinshorn. Es ist wieder einer dieser beruhigenden Momente, wo er seine Erfahrung mit mir teilt.

Unser LF16 erreicht zeitgleich mit dem Notarztwagen die Unfallstelle. Es sieht böse aus. Zwei beteiligte Pkws. Der eine steht halb auf der Straße, dem Fahrer scheint augenscheinlich nicht viel passiert zu sein. Der zweite Pkw ist frontal gegen einen Baum geprallt. Klaus teilt die ersten Einsatzkräfte ein. Ich kümmerte mich mit zwei weiteren Kameraden um das hydraulische Rettungsgerät. Die Unfallstelle wir abgesperrt.

Die erste Rückmeldung des Notarztes: Zwei Personen im Pkw. Eine der zwei Personen kann vom Rettungsdienstpersonal schnell aus dem Fahrzeug befreit werden. Die zweite Person ist eingeklemmt. Klaus gibt mir das Zeichen, mit der Rettungsschere vor zu gehen. Einer der Rettungssanitäter ist bereits im Auto und versorgt die Patientin. Sie wird mittels Helm und Decke von innen Geschützt. Schere und Spreitzer bahnen sich unter dem lauten Quietschen und Knarren den Weg ins Fahrzeuginnere. Klaus steht hinter mir und unterstützt mich. Das total zerstörte Fahrzeug gibt immer mehr von seiner eingeklemmten Insassin frei. Weitere Kameraden heben das Dach ab.

Mir stockt der Atem. Die Frau hinter dem Steuer, welche vor Schmerzen schreit, kommt mir bekannt vor. Der Stifneck und der Kopfverband lassen mich zuerst zweifeln. Doch dann erkenne ich Marie. Es ist die Tochter von Klaus. Ich bin mir ganz sicher. Sie war zwei Stufen unter mir in der Schule. Ihr normales freundliches Lächeln ist ausgetauscht durch ein Schmerz verzerrtes hilfloses Gesicht...

Meine Blicke suchen Klaus. Ich kann ihn zuerst nicht finden. Doch dann entdecke ich ihn am LF. Ich eile zu ihm. Die Gedanken in meinem Kopf lassen sich nicht ordnen. Ich weiß, ich muss es ihm jetzt erklären, dass die Fahrerin seine Tochter ist. Meine Kehle ist trocken und zugeschnürt.

Wie sehr wünsche ich mir jetzt, dass Klaus mir nun zur Seite stehen könnte. So wie er es immer tut, in seiner beruhigenden Art und Weise. Doch diesmal geht das nicht. Ich muss ihm das jetzt sagen, das schulde ich ihm. Bei Klaus angekommen, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und nehme ihn zur Seite.

Er schaut mich fragend an. "Timo, alles klar bei dir? Du bist so blass?" Ich spüre wieder diesen Beschützerinstinkt von ihm. Ich stammle und schlucke. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich die Worte "Klaus, die Lenkerin ist Marie" über die Lippen bekomme. Er sieht mich fragend an. Verwirrung macht sich in seinem Gesicht breit.

Peter, unser Löschzugführer, der Marie auch bereits erkannt hatte, kam zu uns geeilt. Klaus wurde ganz unruhig, so wie ich es noch nie gesehen habe. Seine Gelassenheit war längst in Angst umgeschlagen. Er wollte unbedingt zu seiner Tochter. Peter, beruhigte ihn, er solle den Notarzt erst mal in Ruhe im Notarztwagen arbeiten lassen, wo Marie mittlerweile lag. Es hatte sich bereits bei allen Kameraden wie ein Lauffeuer herumgesprochen, das die Verunfallte die Tochter von Klaus sei. Die Anteilnahme war groß.

Der NAW verlässt mit Blaulicht die Unfallstelle in Richtung Krankenhaus. Die anderen Kameraden räumen die Unfallstelle auf. Niemand sagt ein Wort. Klaus hat sich ins LF zurückgezogen. Wie gern würde ich jetzt einfach einen Besen in die Hand nehmen und die Straße kehren, um mich der Verantwortung zu entziehen, einem Freund in dieser schlimmen Zeit beizustehen.

Aber es ist, glaube ich, mein Herz gewesen, was mir die Kraft gegeben hat, zu ihm zu gehen und für ihn dazu sein. In dieser Nacht habe ich Klaus das erste Mal richtig verstanden.

Mir ist klar geworden, dass es nicht nur seine Jahrzehnte lange Erfahrung war, die mich unterstützt hat, sondern auch seine herzliche und hilfreiche Art.

Diese Nacht hat mein Leben verändert...


Leider ist mir der Autor unbekannt. Wenn Sie den Autor kennen, teilen Sie mir dies mit.


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